Angel Arch [Canyonlands National Park]

Ein himmlisches Vergnügen

Zeit spielt auf einmal keine Rolle mehr. Die Minuten sind so dicht mit Erleben gefüllt, dass sie sich wie Stunden anfühlen. Mehr Spannung als beim ausgefeiltesten Thriller erfüllt das enge Tal, an dessen Ende der Angel Arch den Himmel berührt. Wann werden die ersten Sonnenstrahlen die Spitze des imposanten Gesteinsbogens beleuchten? In welche Farben werden sie den nackten, tagsüber grauen, jetzt pechschwarzen Fels tauchen? Da! Ein dünner Streifen Glutrot entflammt den obersten Rand. Das Stativ ist justiert, die ersten Fotos digitalisieren sich auf den Kamerachip.

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Angel Arch mit Molar Rock – Canyonlands Nationalpark – Needles District – Utah

Der rote Pinselstrich legt mehr und mehr Orange auf und dehnt sich nach unten aus, bis der Kopf des Engels kugelrund aufleuchtet. Die Flügelspitzen des Angel Archs werden entfacht, dann der ganze Korpus. Wir sind so gefesselt von dem in Zeitlupe voranschreitenden Naturschauspiel, dass wir die Kälte, die unsere Körper umklammert, kaum wahrnehmen. Nur beim Fotografieren hemmen die klammen, unbeweglichen Finger. Auch die doppelte Lage Hosen hilft kaum: Die Vlieshose, die vergangene Nacht im Zelt als Schlafanzug diente, ist zwar über die Treckinghose gezogen, doch ohne die wärmenden Sonnenstrahlen bleibt der Lookout am Angel Arch an einem Oktober-Morgen im Canyonlands National Park ein Kühlschrank.

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Angel Arch – Canyonlands Nationalpark – Needles District – Utah

Der glühende Lavastrom, den die Morgensonne anheizt, fließt langsam tiefer über den Fels und arbeitet die Konturen des imposanten Gesteinsbogens heraus. Es ist mucksmäuschenstill. Kein Vogel zwitschert sein Morgenlied, kein Wapiti lässt seinen singenden Lockruf zur Brunftzeit erklingen, an der spärlichen Vegetation raschelt kein Blatt. Es herrscht Ruhe, absolute Stille. Für in Europa aufgewachsene Menschen wie uns ein geradezu befremdliches Gefühl, mit dem man sich erst einmal auseinandersetzen muss, um es zu verstehen. Müssen wir die Stille mit einem Gespräch überbrücken? Nein, es ist herrlich entspannend. 8000 Worte pro Tag sind für H.P. ohnehin genug. Da kann man sich früh morgens um 5:30 Uhr gut bedeckt halten. Also schweigen wir beide – und genießen.

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Angel Arch – Canyonlands Nationalpark – Needles District – Utah

Noch nie haben wir einen Sonnenaufgang mit solcher Intensität wahrgenommen. Natürlich haben wir schon zahlreiche Sunrises und Sunsets gesehen. Den Unterschied macht die Konzentration. Die Fixierung auf das Hier und Jetzt, das Ausblenden aller anderen Gedanken. Was einzig zählt ist das rotorange Band, das immer breiter wird. Nur das Auslösen der Kamera unterbricht den beinahe meditativen Zustand. Die Fotos werden helfen, die Erinnerung zu wecken, falls sie verblassen sollte.

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Angel Arch – Canyonlands Nationalpark – Needles District – Utah

Unvergesslich wird der Morgen am Angel Arch allein deshalb bleiben, weil die Wanderung mit 52 Kilometern die bis dahin weiteste, an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zurückgelegte Strecke für uns ist. Und das mit Rucksack! Der Ausruf „Das wiegt so schwer wie der Rucksack am Angel Arch“ wird die nächsten Jahre zur Redewendung in unserem Alltag. Schließlich sind wir beiden keine Outdoor-Profis mit Super-Leicht-Ausrüstung, und schon gar nicht durchtrainiert wie so mancher Kletterer oder Jogger. Trotz der Reduktion aufs Wesentliche wiegt jeder Rucksack 12-14 kg. Der Grund sind zwei viel zu voluminöse Schlafsäcke, ein 4-kg-Zelt, zwei Therm-a-Rests, zwei kalte Mahlzeiten für morgens und abends, Wasser. Macht mit den drei Lagen an Kleidung und der Fotoausrüstung ein gewichtiges Päckchen. Da das Thermometer nachts jedoch unter die Null-Grad-Grenze fällt, wäre weniger einfach zu wenig.  Also schleppen wir beide stoisch die Last durch die Mäander des Salt Creeks.

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Im Salt Creek zum Angel Arch – Canyonlands Nationalpark – Needles District – Utah

Denn das weitgehend ausgetrocknete Flussbett ist der Wanderweg. Kein Wunder, dass die Ranger uns zwei Jahre in Folge erzählen, die „Jeep Road“ sei unpassierbar. Es gebe „quick sand“, also wassergesättigten Sand, in dem Fahrzeuge versinken wie in Puderzucker. Zur Abschreckung präsentieren uns die Ranger eine aussagekräftige Fotosammlung mit untergegangenen Autos und rechnen vor, dass Abschleppen uns mit 800 Dollar teuer zu stehen kommen würde – falls man das Auto überhaupt wieder heraus bekäme. Da die so genannte „Jeep Road“ nichts anderes ist als das Flussbett des Salt Creeks ist, erweist sich „quick sand“ nicht als Ausnahme, sondern als Regel! Stattdessen haben es die Ranger in den Vorjahren so formuliert, als ob wir ausgerechnet in diesem einen Jahr „Pech“ hätten. Quatsch! Die „Straße“, die diesen Titel nicht einmal annähernd verdient, ist nur passierbar, wenn der Sommer so heiß ist, dass die Verdunstungsrate das Flussbett so stark austrocknet, dass es nicht an die Oberfläche tritt! Man hätte uns gleich im ersten Jahr den Tipp geben können, zu Fuß zu gehen und einen Overnight-Hike daraus zu machen, anstatt uns auf eine Anfahrt zu vertrösten, die quasi nie befahrbar ist.

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Angel Arch – Canyonlands Nationalpark – Needles District – Utah

Unser Tagebuch-Eintrag an den Angel-Arch-Tagen liest sich so:  „Im Visitor Center des Needles Districts des Canyonlands National Parks erteilt man uns die Antwort, die wir schon erwartet haben: Die Zufahrt zum Peekaboo Trailhead als Startpunkt zum Angel Arch ist mit dem Auto unpassierbar, genau wie die beiden Jahre zuvor. Und der Lavender Canyon sei nur mit Allrad und sicherheitshalber mit „winch“, also Seilwinde, zu erreichen. Same procedure as every year. Die Würfel fallen: Wenn die Zufahrten im dritten Jahr in Folge „impassable“ sind, werden wir heuer den Angel Arch in einer Zweitagestour mit Zelt-Übernachtung angehen. Wir erwerben ein Hiking-Permit (gilt für 14 Tage), um von Donnerstag auf Freitag im Backcountry übernachten zu dürfen.

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Im Salt Creek zum Angel Arch – Canyonlands Nationalpark – Needles District – Utah

Wir fahren aus dem Park hinaus und biegen in die Lockheart Basin Road ab, an der sich mehrere Stellplätze befinden („dispersed camping“ auf BLM Land), inklusive herrlicher Blicke auf die Mesas (Tafelberge). Das Packen der beiden Rucksäcke nimmt geraume Zeit in Anspruch, und als sich der Sonnenuntergang nähert, versuchen wir unser Glück wieder einmal mit Sunset-Fotos: Die Canyonlands sind inzwischen zu unserer Top-Sunset-Location avanciert.

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Angel Arch mit Molar Rock – Canyonlands Nationalpark – Needles District – Utah

Da wir am Abend zuvor bereits unsere beiden großen Rucksäcke inklusive Essen, Getränke und allem gepackt haben, frühstücken wir am nächsten Morgen ohne Hektik und fahren von unserem BLM-Standplatz an der Lockheart Basin Road außerhalb des Canyonlands National Parks  zum Gatter nahe der Cave Spring. Die Rucksäcke wiegen zwischen 12 und 14 Kilo und sind anfangs ganz locker zu tragen, obwohl die Strecke sogleich durch Sand geht. Die so genannte „Straße“, auf deren Öffnung und Befahrbarkeit wir drei Jahre umsonst gewartet haben, ist nichts anderes als ein Wash, der seit Jahrzehnten keinen Grader gesehen hat!!! Hier fließt der Salt Creek streckenweise als dünnes Rinnsal oberirdisch, streckenweise unterirdisch. Kein Wunder, dass es hier Treibsand (quick sand) gibt, in dem Autos versinken können.

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Im Salt Creek zum Angel Arch – Canyonlands Nationalpark – Needles District – Utah

An der Gabelung von Salt Creek und Horse Canyon legen wir die Rucksäcke ab und schieben einen Abstecher zum Skull Arch und Bunyans Potty Arch nebst einer kleinen Granary (historische Kornspeicher) ein: 5 km. An der Gabelung zurück schultern wir unser Gepäck und erreichen kurze Zeit später das Peekaboo Window mit einem wenig bemerkenswerten Panel aus Pictographs (Felszeichnungen). Hier treffen wir Herrn Alan Wilson, der 1962 das erste Foto vom Druid Arch gemacht hat und dessen Vater Mitbegründer des Canyonlands National Parks ist. Eine Berühmtheit also! Nach einem kurzen Plausch, aus dem hervorgeht, dass Alan gar nicht begeistert ist von der derzeitigen Nationalpark-Politik, folgen wir dem Salt Creek vorbei am Two Boobs Arch, weit oben in den Canyonwänden. Um 13 Uhr legen wir eine erholsame Pause von 30 Minuten mit Pfirsich und Banane ein und deponieren das restliche Obst nebst einer Wasserflasche gut versteckt für den morgigen Rückweg im Gebüsch (Gewicht sparen!).

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Angel Arch – Canyonlands Nationalpark – Needles District – Utah

Wir erreichen den Abzweig nach links ins Tal des Angel Arches. Da die „zone“, in der man sich seinen Zeltplatz frei aussuchen kann, ab hier nur noch 300 m weit reicht, scouten wir einen Zeltplatz und finden nach einigem Ringen einen solchen am Hang unter einem großen Wacholder. Wir stellen das Zelt auf und breiten die Therm-a-Rests und Schlafsäcke aus. Entlastet von den „backpacks“, fühlen sich die 1,7 Meilen (2,7 km) weiter bis zum Angel Arch fast leicht an. Leider wabert über uns inzwischen eine dicke Wolkendecke. Den ganzen Tag über ziehen immer wieder lockere Wolkenschwaden durch, bis zum Abend ballen sie sich. Aus dem erhofften Sonnenuntergang am Angel Arch wird deshalb leider nichts und auch die Foto-Optionen sind angesichts des riesigen Bogens miserabel, der an eine Person mit Flügeln, aber genauso an eine buckelnde Katze erinnert. Wir laufen die 2,7 km zurück zum Zelt und kriechen in die Schlafsäcke, kurz bevor es dunkel wird.

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Angel Arch – Canyonlands Nationalpark – Needles District – Utah

Wir schlafen die Nacht nahezu durch, bis um 6:30 Uhr der Wecker klingelt. Es ist echt hart, sich bei knapp unter 0 °C – die Wettervorhersage im Visitor Center hatte 28 °F prognostiziert – aus dem Zelt zu pellen und im Halbdunkel die Strecke zum Angel Arch zu absolvieren. Doch die Überwindung wird belohnt: Keine Wolke am Himmel! Dem Sonnenaufgang steht nichts im Wege. Und er wird schön, sehr schön sogar (siehe oben: Essay). Als wir am Arch ankommen, kriecht die Sonne gerade erst langsam über die hinter dem Arch gelegenen Felsen. Der Angel Arch selbst wird eine gute halbe Stunde lang von einem benachbarten Berg beschattet und bekommt erst Licht, als der inzwischen steilere Einfallswinkel der Sonnenstrahlen die Felsen stärker gelb als orange einfärbt. Wir beobachten gespannt, wie die Sonne den Bogen Stück für Stück ins Rampenlicht stellt. Einziger Nachteil: Ich friere wie ein Schneider, denn wir stehen die ganze Zeit im Schatten, H.P. frieren beim Fotografieren die Finger ein.

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Angel Arch – Canyonlands Nationalpark – Needles District – Utah

Gegen 9 Uhr gilt es, die Entscheidung zu treffen, ob wir noch abwarten, bis der markante Molar Rock im Vordergrund ebenfalls Sonne bekommt oder nicht. Schließlich verfahren wir so, dass ich voraus zum Zelt gehe und alles einpacke, während H.P. die Besonnung des Molar Rocks für Fotos abwartet. Gesagt, getan. Nach einer guten halben Stunde Rückweg zum Zelt, rolle ich selbiges gerade final ein, als H.P. eintrifft. Kurz zuvor hat die wärmende Sonne endlich auch unseren Zeltplatz erreicht, und wir verspeisen je zwei Blueberry-Muffins zum Frühstück. Mit dem Trinken klappt es weniger – das eiskalte, pure Wasser ist einfach grässlich, wir lernen den morgendlichen Tee und Kaffee wieder richtig zu schätzen.

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Angel Arch – Canyonlands Nationalpark – Needles District – Utah

Dann treten wir den Rückweg an, der bis zur ersten Pause um 12 Uhr nach zurückgelegten 6 Kilometern ganz gut klappt. Danach wird es für mich streng: Die Gelenke schmerzen, der Rucksack drückt den ganzen Korpus zusammen, die Beine werden schwer. Und dann kommt der Sand, weicher Sand. Meine Schritte werden kürzer und kürzer, die Schmerzen intensiver. Als wir nach insgesamt 52 km am Auto zurück sind, habe ich eine neue, persönliche Belastungsgrenze ausgetestet. Ich atme auf, als die Last des Rucksacks von den Schultern gleitet. Während H.P., der wie immer mehr Reserven hat, die Rucksäcke verstaut, falle ich auf den Beifahrersitz und bin mit Überleben beschäftigt. Learned today: 52 km Laufen in zwei Tagen, davon 36 km mit 12-14 kg Rucksack, sind zu schaffen. Und: Wenn man den alltäglichen Luxus nicht zur Verfügung hat, wird er einem am nächsten Tag umso bewusster.

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Angel Arch – Canyonlands Nationalpark – Needles District – Utah

Lage

Der Angel Arch liegt im Canyonlands National Park am Salt Creek und ist zu Fuß erreichbar.

Unsere Bewertung

Attraktivität: *****
Foto-Optionen: ****
Aufwand: ****

Anfahrt

2 WD, 4 WD Road ist in den meisten Jahren unpassierbar, da es sich um ein Flussbett mit „quick sand“ handelt

Wanderung

schwer, 52 km zu Fuß inklusive Gepäck zum Übernachten

GPS-Daten

XXX

Bildergalerie

Karten