Fotografieren

Fotospaß mit Maß

Im Grunde macht heute jeder auf Reisen Fotos. Der eine mit einer digitalen Spiegelreflex-Kamera, der andere mit dem Handy oder in jüngster Zeit mit dem Tablet. Woran man sich rein optisch im übrigen erst noch gewöhnen muss. Personen, die einen Din-A-4 großen Bildschirm vor ihr Gesicht halten, wirken zunächst befremdlich. Den meisten geht es dabei um Erinnerungen und Schnappschüsse, um zu Hause die Eckpunkte der Reise nacherleben zu können. So haben wir es zu Zeiten von Dia- und Negativfilmen auch gehalten, als Sparsamkeit angeraten war und wir von unserer ersten, gemeinsamen Amerikareise 1992 stolz wie Oskar mit 13 Filmen im Gepäck nach Hause kamen. Entspricht rund 460 Fotos oder 8 Aufnahmen pro Reisetag. Mit der Digitalfotografie aber eröffnete sich ab der Jahrtausendwende für jedermann die erschwingliche Möglichkeit, „einfach mal draufzuhalten“. Wenn der Schnappschuss nichts wird, löscht man ihn einfach. Kostet nichts. Damit ist die Digitalfotografie für uns, wie für sicher viele Reisende gleichermaßen, zum Experimentierfeld geworden. Und für uns die Landschaften Amerikas zum Abenteuerspielplatz!

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Bryce Canyon Nationalpark, Utah

Indem wir möglichst jeden Abend die Bilder des Tages sichten, lernen wir schnell dazu. Ganz ohne Fotokurs und Profi-Ausrüstung. Wir fotografieren mit zwei Nikon-Spiegelreflexkameras (D70 und D7000). Die Konkurrenz belebt und steigert die Qualität der Fotos rasch. Das verträgt nicht jedes Ehepaar, aber bei uns klappt’s gut zu beiderseitigem Vorteil. Jeder lernt dazu. Und so sind wir inzwischen gezielt auf der Suche nach „guten Motiven“ in der weiten Wildnis Nordamerikas im fotografischen Sinn, und längst nicht mehr nur nach Schnappschüssen zur Urlaubserinnerung.

Dieser Fokus aufs Fotografieren bedeutet aber nicht, dass wir jeden Morgen weit vor Sonnenaufgang aufstehen und im Licht einer Taschenlampe loslaufen, um zum Sunrise an einer Foto-Location zu sein. Oder am Abend das ganze Spielchen invers betreiben. Nein, wir nutzen wie jeder andere Reisende das Tageslicht und ab und zu ergreifen wir die Gelegenheit, wenn wir zufällig im Zeitrahmen von Sunrise oder Sunset an einem hierfür interessanten Platz sind. Das Treffen mit einem deutschen Ehepaar im Jahr zuvor (Band 4 „Mit Highlights, Hund & Hindernissen“) ist uns eine Lehre. Die beiden stellen ihre Reisen unter den Scheffel der Fotografie, schlafen nachts kaum, dafür tagsüber, aber auch nur wenig, denn sie kundschaften die nächsten Foto-Locations aus, zu denen sie morgens im Stockdunkeln laufen. So viel Foto-Devotismus haben wir nicht. Wir sind dann doch eher Genießer der Landschaft, für uns steht das Erleben im Vordergrund, nicht der Zwang eines fotografischen Ergebnisses. Glückt ein schöner „shot“, wunderbar. Klappt es nicht, auch gut.

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Bryce Canyon Nationalpark, Utah

Wir möchten im Idealfall die Schönheit der Natur so abbilden, wie sie ist. Nicht überhöht, nicht verzerrt, nicht geschönt, nicht hochstilisiert. Einfach so, wie sie ist. Dazu gehört ein farbstarker Sonnenuntergang ebenso wie ein nebelverhangener Morgen. Aber eben nicht allein das! Für so manchen Profifotografen ist ein Foto „ohne außergewöhnliche Lichtstimmung“ nichts wert, weil es nicht „künstlerisch wertvoll“ ist. Aber auch eine Felsnadel oder ein Gesteinsbogen, der am helllichten Tag aufgenommen wird, spiegelt die Natur wider. Unverfälscht, geradlinig und ungeheuer faszinierend. Denn um solche geologischen Formationen zu schaffen, vergehen Millionen von Jahren, die mehr Ehrfurcht erbieten als der Ruhm, den einzelne Personen hinter einer Kameralinse je verdienen können, seien sie auch noch so talentiert. Ein aus unserer Sicht guter Naturfotograf bildet genau das möglichst authentisch ab, was die Natur an Gewöhnlichem und Außergewöhnlichem erschaffen hat. Er selbst bleibt im Hintergrund.

Immer gern besuchen wir Galerien von Naturfotografen in den USA, da man hier sehen kann, was ein Profi aus einem wohlbekannten, oft gesehenen Motiv herausholen kann. Mit ein bisschen Analyse kann man die Komposition, den Blickwinkel, die Schärfe oder Unschärfe selbst an den kommenden Natursehenswürdigkeiten ausprobieren.

Spezialfall: Wasserfälle

Wasserfälle haben das Image, romantisch und märchenhaft schön zu sein. Derjenige, der sie fotografieren möchte, findet sich jedoch mitnichten in einer Traumwelt wider.

Das liegt a priori am Klima. Wo Wasserfälle zu Tal donnern, müssen stete Niederschläge die Flüsse speisen. Es regnet häufig, viel und dauerhaft. Mehrere Tage Dauerregen sind in den gemäßigten Regenwäldern Oregons und Washingtons keine Ausnahme. Und damit ist D a u e r – Regen gemeint, Tag und Nacht, ohne Unterbrechung. Wer hier mit der Kamera unterwegs ist, muss sich mit Regenkleidung wappnen und seine Ausrüstung mit dem Regenschirm schützen – und weicht trotzdem durch. Trotz moderater Temperaturen kühlt der Körper aus, die Finger werden klamm, in den Schuhen quatscht es. „Have fun“ sieht anders aus.

Zweitens wird man selbst dann nass, wenn es nicht regnet. Denn die Wasserfälle produzieren je nach Wasserfracht feuchtigkeitsschwangere Gischtwolken, die alles und jeden einnebeln, der sich Ihnen nähert. Zudem gilt es nicht selten, bis zum Erreichen der Fälle, die Zuflüsse (river, creek und Co.) zu überqueren. Für gute Perspektiven nimmt der ambitionierte Fotograf zudem Balanceakte auf wackligen, Moos bewachsenen Felsen in Kauf, die im Flussbett liegen – Fehltritte einkalkuliert, bei denen zuweilen nicht nur das Schuhwerk baden geht…

Drittens wird das Fotografieren an sich zur zeitraubenden Angelegenheit. Es beginnt mit dem Aufstellen und Justieren des Stativs. Auf dem bewegten Terrain, dass auf Schritt und Tritt wegrutscht, nachgibt oder einbricht, keine leichte Aufgabe. Doch wegen der naturgegeben geringen Ausleuchtung der Wasserfälle, die im Wald liegen, herrscht Lichtarmut, bei Regen ist es sogar stockdunkel. Ohne Stativ geht hier gar nichts! Die hohe Luftfeuchtigkeit, kombiniert mit äußerlicher Nässe, macht Sie in Kürze zum Putz-Profi: die Linsen laufen an, Tropfen bekleckern die Objektive und Filter. Hinzu kommt die lange Belichtungszeit, die mit Selbstauslöser das Risiko von Verwacklungen minimiert. Das kostet zusätzlich Zeit. Kurzum: Wo man in den Trockengebieten Utahs an einem Tag mit etwas Glück und Spucke mehrere gute Shots für sein Portfolio sammeln kann, gelingt dies bei Wasserfällen nur einzelstückweise.

Viertens sind Wasserfälle topographisch zwangsweise mit Geländesprüngen verbunden, sonst gäbe es sie ja nicht. Der Umkehrschluss: Möchte man von der Basis eines Wasserfalls zum Kopf gelangen oder umgekehrt, liegt eine Kletterpartie vor Ihnen. Gibt es einen ausgetretenen oder gar ausgebauten Pfad, wunderbar. Gibt es diesen nicht, sehen Sie sich steilen Abhängen gegenüber, bei denen kein Tritt sitzt. Alles unter den Sohlen ist morsch, rutschig oder wackelig. Wer da nicht gut zu Fuß ist, muss auf attraktive Perspektiven verzichten. Hat es zuvor ausgiebig geregnet oder regnet es aktuell, verschlimmert das die Bedingungen, womit wir zu Punkt Eins dieses kurzen Ausflugs in die Welt der Wasserfall-Fotografie zurückkehren.